Weniger ist mehr

„Solange ich zurückdenken kann, habe ich mir selber wenig gegönnt. Während andere sich schicke Kleidung kauften, die unbedingt Markenwaren sein musste, begnügte ich mich mit preiswerteren Waren. Ich brauchte keine Marken, für die ich dann auch noch deutlich mehr Geld ausgeben musste. Meine Kleidung war gepflegt und reichte mir.

Andere fuhren auch zweimal im Jahr in den Urlaub, wo sie zusätzlich viel Geld ausgaben. Ich brauchte das nicht. Mir reichten meine 45 qm große Wohnung und der kleine Balkon. Das Allgäu ist so schön, in dem konnte ich mich sehr gut erholen, ohne Geld für das Flugzeug und Sternehotel auszugeben. Mir alleine eine große Wohnung zu leisten, in der locker auch 3-4 Personen hätten wohnen können, leistete ich mir nicht. Ich alleine und dann 70 qm und mehr? Wofür? Ich hatte alles, was ich brauchte: ein Schlafzimmer, eine Küche, ein Bad und ein kleiner Flur. Zugegeben, es war klein, aber warum sollte ich für mich mehr beanspruchen, als notwendig war? Studenten leben in noch viel kleineren Wohnungen und sind damit auch zufrieden. 

Warum sollte ich mir in einem Cafe ein Stück Kuchen mit einer Tasse Kaffee kaufen, wenn ich es beim Bäcker günstiger bekam und den Kaffee eh zu Hause hatte? Für mich selbst benötigte ich das nicht. Auch das Essen wurde meines Erachtens völlig überbewertet. Mir reichte es aus, ein paar Kartoffeln zu kochen, etwas Gemüse, vielleicht auch mal ein kleines Stückchen Fleisch dazu und das alles dann in der Küche zu essen. Wenn ich im Vergleich dazu andere erlebte, die täglich ihr Essen geradezu zelebrierten, war das für mich völlig unnötig. Sie deckten vor jedem Essen den Tisch schön ein, jeder hatte ein Getränk beim Essen, das Gekochte wurde schon fast mit einer Pinzette auf den Tellern angeordnet, sie ließen sich Zeit beim Essen, legten zwischenzeitlich mal das Messer und die Gabel an den Tellerrand, um ganz in Ruhe zu kauen, ein Schluck Wein zu trinken usw. Also, so viel Aufmerksamkeit für mein tägliches Essen und damit eben auch für mich selbst, war mir viel zu zeitaufwändig. In teuren Restaurants zu dinieren, wäre mir eher unangenehm gewesen. Ich wollte nicht, dass andere mich bedienten, mir von rechts und links etwas hinstellten, ein Getränk ins Glas gossen, mir meine Wünsche erfüllten, zuvorkommend und freundlich waren, … Da fühlte ich mich dann so umworben oder wichtig und das wäre wirklich unangenehm gewesen.

Wenn z.B. auf Stadtfesten Karussells aufgebaut waren, schaute ich lediglich zu, fuhr aber nicht mit. Ich dachte immer: „Ach ne, lass mal die anderen. Wenn ich verzichte, kann noch ein anderer mitfahren.“ Es war ja auch schön, den anderen nur zuzuschauen; das reichte mir. An den vielen kleinen Ständen, an denen es Süßigkeiten, heiße Kartoffeln mit Quark, gebrannte Mandeln, Waffeln, Eis und anderes mehr gab, ging ich stets vorbei. Ich beließ es für mich dabei, mir alles einfach nur anzuschauen, aber nicht „mitzumachen“. Für mich war all dies und anderes mehr nicht notwendig, zu aufwendig, zu groß, zu aufmerksam, zu teuer, zu viel, … Ich brauchte das alles nicht und ich war es mir auch selbst nicht wert. Die anderen, ja die konnten machen, was sie wollten, aber mir selbst gegenüber diese Aufmerksamkeit zu schenken, mich in den Vordergrund meiner Wünsche zu stellen, das machte ein ganz unwohles Gefühl in mir.

Wenn es früher in der Schule zu St. Martin in der Aula für die Schüler einen Stutenkerl gab (in anderen Regionen heißt er Weckmann), rannten alle aufgeregt dort hin. Ich selbst dachte mir dann immer: „Lass die mal laufen. Du bekommst auch noch einen.“ Aber das war nicht immer so. Ob ich dann traurig war? Nein, denn ich wusste, dass irgendein Schüler sich jetzt über zwei davon freute. Wozu brauchte ich auch einen Stutenkerl? Daran hing ja nun wirklich nicht mein Leben. In der Schulmensa kämpfte ich nie darum, dass die richtige Reihenfolge eingehalten wurde. Wenn sich also Schüler vordrängelten, lies ich das kommentarlos zu. Ich bekam schon mein Essen, und wenn es die letzte lauwarme Portion war. Egal. Ich fand das für mich nicht wichtig.

Mein mich fühlen und wohlfühlen, mein mich wahrnehmen, ernstnehmen, selbst lieben, mich wichtig nehmen u.a.m. war total verkümmert. Das stellten auch meine Freunde fest. Immer mal wieder sagten sie mir: „Also, wenn du auf uns nicht hören möchtest und unsere Argumente dafür, dass du dich ernst und wichtig nehmen sollst, nicht annehmen möchtest, dann sprich doch mal mit Anderen. Ich fragte mich, warum ich mit Anderen sprechen sollte. Das kostete Geld und das war ich mir nicht wert. Meine Freunde schenkten mir daraufhin einen zweistündigen Besuch bei einer Beraterin.