Mein Freund war ein Narzisst

„Unsere ersten Dates waren sehr schön und sehr unterhaltsam; mir ging es so gut, dass ich mein erstes Treffen mit ihm sofort mit meinen Freundinnen teilte. Er war so überaus aufmerksam, freundlich und machte mir wirklich schöne Komplimente, die ich ihm glaubte. Das waren keine abgedroschenen Phrasen, i.S.v., „Du hast schöne Augen, dein Lächeln ist so erwärmend, …“ und anderes mehr. Nein, er gab mir das Gefühl, tatsächlich mich zu meinen. Dass ich bei unseren ersten Dates genau an jenen Orten war, die er immer aufsuchte, wenn er eine Frau umwerben wollte, erfuhr ich erst sehr viel später.

Er erzählte mir wunderschöne Anekdoten, hatte Witz, Scharm, wir lachten viel, ich fühlte mich gelöst, sehr gut aufgehoben und wahrgenommen. Je mehr ich auf ihn und seine Erzählungen einging, desto mehr Informationen über ihn und sein Leben bekam ich: Das Abitur hatte er mit 1,1 bestanden, das Studium mit „summa cum laude“ beendet und der Personenkreis, in dem er sich aufhielt, bestand aus bedeutenden, wichtigen Persönlichkeiten. Er erzählte mir von seinem erfolgreichen Leben, wen er alles kennt, mit wem er berufliche Kontakte hat, was er alles schon „aufgebaut“ hat und vieles mehr. Selber als Angestellter zu arbeiten, lag unter seiner Würde.

Dieses Prahlen verpackte er so geschickt, dass ich es gar nicht wahrnahm. Für mich war er der perfekte Mann, charmant, gebildet, mich hofierend. All das machte auf mich Eindruck. Ich war, ehrlich gesagt, ganz begeistert von ihm. Bei jedem Treffen suchte er für uns eine andere wunderschöne Lokation aus. Wir machten lange Spaziergänge, viele Ausflüge und genossen unsere Zweisamkeit. Er verwöhnte mich, wo er nur konnte. Ich war begeistert. Das ließ ich ihn auch wissen, denn das waren meine ehrlichen Gefühle und Gedanken.

Im Laufe der Zeit erfuhr ich, dass er schon mehrere Beziehungen hatte. Die hielten aber alle nicht sehr lange an, weil es für ihn die „falschen“ Frauen waren: Die eine hatte ihn angelogen, die andere kritisierte alles und jeden oder er fühlte sich be- und ausgenutzt, die Interessen passten nicht zusammen oder die Beziehung war ihm zu kompliziert und Vieles mehr. Er war also immer das Opfer. All dies würde er in unserer Beziehung jedoch nicht erleben, was ihn so glücklich mit mir machte. Ich wusste also, wie ich sein musste, um ihn weiterhin an meiner Seite zu haben. Und das wollte ich auch! Er war der Mann, von dem ich immer träumte.

Im Laufe der Zeit fiel mir auf, ja eigentlich, wenn ich heute zurückblicke, schon von Anfang an auf, dass er gerne Kontrolle ausübte. Durch seine charmante Art brachte er mich dazu, stets das zu tun, was er gerne wollte und das zu lassen, was ihm nicht gefiel. Und gleichzeitig war ich selber damit sogar zufrieden. Ich merkte gar nicht, wie er mich ständig manipulierte. Vielmehr brachte er mich durch seine bezaubernde, sympathische Art und Weise dazu, selber zu meinen, es auch zu wollen bzw. nicht zu wollen.

War jedoch auch nur das Geringste anders, als zuvor, wurde er unruhig. Ein Beispiel: Wir saßen in einem sehr guten Restaurant, in dem er mit seinem Namen überaus freundlich begrüßt wurde, denn man kannte ihn. Während das Personal ihm eigentlich stets sofort, also unaufgefordert, ein Glas Wasser mit einer Zitronenscheibe servierte - er trank immer erst ein Glas Wasser -, geschah dies an diesem Abend nicht. Er war verärgert, beklagte sich jedoch überaus freundlich über diese Unaufmerksamkeit. Zudem war auch der Ober, der ihn sonst stets bediente, nicht da. Auch das brachte ihn in eine Art Hektik. Er musste sofort wissen, warum das so ist. Am liebsten hätte er ihn aus seinem Krankenbett holen lassen, damit alles so ablief, wie immer. Fischbrötchen auf der Hand, Biergartenbesuch, Pizza vom Pappteller, all das war für ihn undenkbar. Bevor das passierte, fuhr er lieber 100 km weiter, um edel zu speisen. War dann aber dieses Restaurant voll besetzt und wir bekamen wirklich keinen Platz mehr, sondern mussten warten oder uns mit einem kleinen Tisch „in der Ecke“ zufrieden geben, wurde  er erneut ruhelos. Diese Situation musste für ihn geändert werden und zwar möglichst sofort. Er „beschimpfte“ das Personal, indem er ihnen auf eine wieder einmal sehr freundliche aber bestimmende Art und Weise zu verstehen gab, wer er ist, wollte sofort mit der Geschäftsleitung sprechen und verfasste eine niederschmetternde Rezension im Internet. D.h., sobald er keine Kontrolle mehr über eine Situation hatte, war das für ihn unerträglich.

Er stellte gerne heraus, wo er bisher überall seine Urlaube verbracht hatte und in welchen Luxushotels er abgestiegen war. Dass sein Auto vom Personal in die Tiefgarage gefahren und seine Koffer in seine Suite gebracht wurden, wo bereits die Flasche Champagner, das Obst und Gebäck standen, war ihm wichtig zu erwähnen. O.k., dachte ich mir, Luxus liebe ich auch, und wenn ich viel bezahle, möchte ich einen entsprechenden Service. Dass dieses hervortuende Verhalten mit seinem Narzissmus zu tun hatte, wusste ich damals nicht. Ich erinnere mich an einen gemeinsamen Kurzurlaub in einem 5-Sterne-Hotel, in dem er ebenfalls bekannt war. In der Suite stand nun aber nicht der Champagner, den er dort stets erhielt. Sogleich wies er das Personal charmant auf diesen „Missstand“ hin und bat um Veränderung. Das ging aber nicht, was ihn in große Anspannung brachte. Er unternahm allesmögliche, um seinen Wunsch erfüllt zu bekommen und schaffte es auch. Alles musste so sein und bleiben, wie er es sich vorstellte, plante, aufgebaut hatte, … und jeder sollte zu ihm aufschauen.

Problematisch wurde es, wenn ich ihn kritisierte oder etwas anders machte, als er es bisher gewohnt war. Das ging schon bei der Essenszubereitung oder dem Tischdecken los. Setzte ich mich durch, sah ich in seinem Gesicht seine innere Hektik. Er wusste nicht, wie er nun mit dieser Situation umgehen sollte.

Ich bekam immer deutlicher mit, dass er sehr viele „Freunde“ hatte, die er sich nach der Devise auswählte: Was habe ich von diesen Menschen? Sein „Vitamin B“ setzte er geschickt ein, um das zu bekommen, was er anstrebte. Zugegeben, auch ich hatte davon so manchen Nutzen und genoss es auch. Waren z.B. Konzertkarten ausverkauft, bekam er dennoch zwei für uns. Einen günstigeren Preis für Schmuck zu bezahlen, als den, den alle andere Kunden zahlen mussten, war selbstverständlich, kannte er doch den Juwelier persönlich und gehörte zu seinem „Freundeskreis“. Kurzfristig eine Jacht zu buchen, war gar kein Problem.   

Moralisch fühlte er sich mir und anderen gegenüber sehr überlegen. D.h., er wertete z.B. mich durch entsprechende Äußerungen zunehmend mehr ab. Er war also der Gute und ich die Böse. Er hatte moralisch recht und ich irrte mich. Ich machte für ihn meine eigenen Dinge falsch, er aber seine grundsätzlich richtig. Ich war zu unüberlegt, er nicht. Ja, er verachtete mich schon fast, woraus er sich ernsthaft erlaubte, mich - auch moralisch - schlecht zu behandeln. Alles, was er machte, war gut und richtig, während Vieles, was ich machte, zu kritisieren war; und das tat er auch noch aus der „Freundlichkeit“ heraus, mir doch nur helfen zu wollen. Was ich leistete, war grundsätzlich weniger Wert, als das Seine. Er sagte mir, was ich nicht mehr machen oder äußern solle oder was für mich besser wäre, …, und wenn ich das alles so machte, dann war auch ich ein guter Mensch. D.h., er machte mich zu seiner Marionette. Sein Selbstbewusstsein und Selbstwertgefühl waren völlig übersteigert,  womit er sich selbst ständig grenzenlos überschätzte. Aber wehe, ich hätte ihm das gesagt. Er brauchte Applaus, Lob, Anerkennung! Keiner hatte eine schwerere Kindheit, als er. Keiner hatte auf dieser schwierigen Grundlage so viel erreicht und sich selber so erfolgreich gemacht, wie er. In allem, was er machte, musste er der Sieger sein und er war es auch, kostete es, was es wollte.

Er war absolut fest davon überzeugt, jedes Problem lösen zu können, würde man ihn doch nur mal fragen. Kein Wunder, dass er mich zunehmend mehr abwertete. Z.T. tat er das sogar im Beisein Dritter. Selbst diesen gegenüber verhielt er sich so manches Mal diskriminierend und behandelte sie schlecht. Da machte er auch vor seinen „Freunden“ keinen Halt. Wenn die ihm keine Vorteile mehr brachten, oder sich wagten, eigene Ideen und Wünsche einzubringen oder diese eigenständig umzusetzen, hatte er an ihnen sogleich kein Interesse mehr. Sie waren für ihn nicht mehr kontrollierbar und damit wertlos.

Rückblickend fällt mir heute auf, dass es ihm am Anfang unserer Beziehung wichtig war, zu erfahren, wer ich bin, was ich bisher erreicht und geleistet habe, wo und wie ich wohne, welchen Beruf ich habe, was ich verdiene und manch anderes mehr. Es ging ihm also darum, zu checken, ob er mit mir angeben konnte und ich ihn an seiner Seite genügend erhöhte, während ich zu ihm aufschaute.“