Ich fühle mich alleine

"Oft fühle ich mich sehr alleine. Ich kenne zwar Menschen und habe hier und da auch Kontakt mit ihnen, aber ich habe nie das Gefühl, dazu zu gehören. Ich bin immer nur dabei. Dazuzugehören oder nur dabei zu sein, ist für mich ein großer Unterschied. Die anderen kennen sich gut, unternehmen privat viel miteinander, feiern gemeinsam ihre Geburtstage, besuchen sich spontan oder laden sich zu einem gemütlichen Grillabend im privaten Bereich ein, gehen gemeinsam ins Kino oder Theater, usw.

Hier und da werde ich von meinen Bekannten mal gefragt, ob ich mitgehen möchte und ich stimme zu. Aber ich gehöre einfach nicht dazu. Ich werde von ihnen gar nicht angesprochen, weil sie unter sich selber so viel miteinander zu bequatschen und zu lachen haben. Es geht dabei um Dinge, die sie im Vorfeld schon miteinander erlebt hatten, oder um Menschen und Zusammenhänge, die ich gar nicht kenne. Also, wie soll ich mich an diesen Gesprächsinhalten beteiligen können. Somit laufe ich schweigend nebenher und lache an den Stellen mit, an denen sie lachen.

Ich versuche auch selber, neue Kontakte aufzubauen, aber irgendwie klappt das nicht so wirklich. Da gibt es dann vielleicht mal ein oder zwei Treffen, aber dann ist das Interesse an mir schon wieder vorbei. Ich versuche dann per WhatsApp oder Sprachnachrichten die Person zu kontaktieren, bekomme aber keine Rückantwort. Spreche ich auf die Mailbox oder den Anrufbeantworter erlebe ich dasselbe – keine Reaktion. Sehen wir uns zufällig in der Stadt, gibt es zwar einen kurzen, netten Smalltalk, die Aussicht auf ein mögliches Wiedersehen wird aber indirekt verneint. Da heißt es dann: „Ja, das machen wir. Aber weißt du, ich habe im Moment so viel zu tun, da wüsste ich gar nicht, wann ich in der nächsten Zeit mal könnte. Ich ruf dich an, versprochen.“ Dabei bleibt es dann. Leere Phrasen, nur um mich los zu werden. Oder wir machen einen Termin aus, der dann aber kurz vorher mit einer für mich fadenscheinigen Begründung abgesagt wird. Manchmal erfahre ich sogar, dass der Grund der Absage gelogen war. Das tut weh.

Vergleichbares erlebe ich auch in meiner Ehe. Hier fühle ich mich gleichfalls alleine. Mein Mann bastelt stundenlang an seinen Oldtimern herum, fährt zu Oldtimertreffen und ich sitze im Wohnzimmer alleine herum. Ein einziges Mal war ich zu einem solchen Treffen mitgefahren. Die Besitzer der Oldtimer unterhielten sich über Technik, wie sie was repariert hatten, wohin sie schon überall mit dem Wagen gefahren waren, bei welcher ausländischen Werkstatt noch welche Ersatzteile zu bekomm sind und anderes mehr. Mir war langweilig. Schlussendlich und in Rücksprache mit meinem Mann, ging ich alleine über das Gelände und sah mir die Wagen an. Zugegeben, da war so mancher darunter, zu dem man zweimal hinschaute. Meinen Mann sah ich den ganzen Nachmittag nicht mehr. Er was in seinem Element. Ich trank mir in dem angrenzenden Bistro eine Tasse Kaffee. Für mich war dieser Trubel nichts. Ich fragte mich, was ich hier eigentlich sollte. Das Interesse meines Mannes war wirklich nicht meines - Oldtimer waren nicht mein Thema. Nicht nur auf der Rückfahrt, sondern auch beim Abendessen erzählte er nur noch über diesen Nachmittag. Plötzlich sagte er, ich sollte jetzt ruhig sein, denn im Fernsehen kamen die Nachrichten. Ich sollte ruhig sein? Wer hatte denn bisher wie ein Wasserfall geredet und gar nicht bemerkt, wie es mir ging? Unfassbar, jetzt verbat er mir auch noch meinen Mund!  

Sitzen wir in einem Cafe oder Restaurant, was eh schon selten genug vorkommt, schweigen wir uns an. Versuche meinerseits, uns über irgendetwas zu unterhalten, werden mit weiterem Schweigen oder einer kurzen Antwort beendet. Von ihm kommt gar nichts. Treffen wir aber zufällig Bekannte oder Nachbarn, bittet er sie an unseren Tisch, ist freundlich und quatsch ohne Ende. Dabei nimmt er gerne alle am Tisch Sitzenden in Anspruch. Ich selbst sitze dabei. Nur manchmal unterhalten wir Frauen und die Männer sich miteinander. Für eine kurze Zeit erlebe ich Interesse an dem, was ich erzähle. 

Wir haben zwei Kinder. Sind sie zu Besuch, unterhalten sie sich angeregt mit ihrem Vater, während ich mich um das Essen, den Kaffee und Kuchen sowie das Abendbrot kümmere. Fahren sie wieder Heim und ich überlege mir, worüber wir, also meine Kinder und ich, uns unterhalten hatten, sind das banale Inhalte. „Guten Tag Mama. Reichst du mir mal bitte die Kartoffelschüssel herüber? Hast du auch Sahne für den Kuchen? Also, im Büro ist mal wieder der Teufel los - (und dann erzählt er von seiner Arbeit). An der Uni wird gerade die Mensa umgebaut - (und dann erzählt sie von den Gebäuden und ihrem Studium) …“ Hatte sich irgendeiner überhaupt für mich interessiert? Hatte sich irgendeiner für irgendetwas bedankt und mir so Aufmerksamkeit geschenkt? Ich wusste jetzt alles von ihnen, aber sie wussten nichts von mir. Mein Mann war „satt“ an persönlichem Interesse ihm gegenüber; ich war „leergelaufen“.

Streng genommen kenne ich das Gefühl des allein seins schon aus der Grundschule. Ich war ein ruhiges, eher verschüchtertes Mädchen, das nicht auffiel. Übertragen formuliert, stellte ich mich nie in die fordere, sondern lieber in die hintere Reihe. Bei Mannschaftsspielen im Schulsport wurde ich stets als einer der letzten gewählt. Hätte man mich nicht wählen müssen, ich wäre jedes Mal auf der Bank sitzen geblieben. Sollten wir im Unterricht selbständig Gruppen bilden, wusste ich bis zum Schluss nicht, zu welcher ich gehörte. So wies mich der Lehrer einer von ihnen zu. Bei der dann folgenden Themenerarbeitung kam ich mit meinen Ideen gar nicht dazwischen. Ständig übertönten mich andere mit ihren Wortbeiträgen. Auf dem Schulhof stand ich öfter nur so herum. Spielte ich mit anderen, „kommandierten“ sie mich eher herum, was ich jetzt tun musste, wo ich mich hinzustellen hatte und anderes mehr. Eigentlich spielten die anderen miteinander, aber nicht wir gemeinsam. Ich tat nur, was ich tun sollte, hatte aber nicht das Empfinden, von ihnen „angesprochen“ zu sein. Zu meinen Geburtstagsfeiern kamen nur zwei oder drei aus meiner Klasse. Der Rest sagte ab oder blieb einfach fern. Sie zu fragen, warum sie nicht gekommen waren, hatte ich mich nie getraut. Ich ließ es geschehen und war sehr traurig. Während andere aus meiner Klasse sich nachmittags zum Spielen trafen, verbrachte ich meine Nachmittage in meinem Zimmer. Ich malte, bastelte, las, hörte Musik. Manchmal lag ich auf meinem Bett und weinte. Ganz selten war mal eine der Mädchen bei mir zu Hause. Wir spielten, lachten und tobten so ausgelassen, dass Mama uns manchmal ermahnen musste. Ich war so, so glücklich. Aber es kam dann doch nicht zu weiteren Treffen. Warum? Ich wusste es nicht. Am nächsten Tag tat die Mitschülerin wieder so, als hätten wir den gestrigen Nachmittag nicht erlebt. Andere, mit denen sie „zusammenhing“ waren wieder ihre Favoriten. War sie nur deshalb zu mir gekommen, weil ihre Freundinnen keine Zeit hatten?“