Beruflicher Stress im Top Management

„Nach 28 Jahren als Top-Manager machte mir meine Arbeit einfach keinen Spaß mehr. Ständig fühlte ich mich getrieben, gehetzt, musste massiven Druck aushalten und finanziell schwierige Entscheidungen treffen, die mich ebenfalls massiv unter Druck setzten. Ich musste mich gegenüber der Konkurrenz durchsetzen und stets „auf der Hut sein“, denn das Geschäftsleben war und ist gnadenlos!!!

Der „Normalbürger“ macht sich darüber gar keine Vorstellungen. Was in den obersten Geschäftsetagen geschieht, ist wahrlich unmenschlich. Ja, o.k., ich verdiente weit, weit mehr, als der „Durchschnittsbürger“, was auch immer das heißt. Und ja, Preissteigerungen, egal, worum es ging, machten mir und meiner Familie überhaupt keine Sorgen. Wir konnten sie bezahlen. ABER, das Leben, das ich dafür einpreiste, war geradezu menschenverachtend.

Ich hatte permanenten Termindruck. Fast täglich hatte ich die von mir eher ungeliebten, weil sehr anstrengenden Geschäftsessen. Hinzu kamen sehr, sehr lange Meetings sowie Konferenzen bis spät in die Nacht hinein. Der Erfolgsdruck war enorm. Warum? Die Konkurrenz war groß und die Gewinne mussten stetig gesteigert werden. Hier war der Vorstand gnadenlos. Alles drehte sich nur noch um den Gewinn, koste es, was es wolle!

Wenn Mitarbeiter unter diesem Druck zusammenbrachen, interessierte das keinen! Was aus denen wurde, interessierte ebenfalls keinen! Viele meiner Mitarbeiter waren über die Jahre hinweg zu Alkoholikern oder Tablettenabhängigen geworden. Auch das war der Geschäftsleitung völlig egal! So manche Ehe litt unter diesen Belastungen oder zerbrach. Und auch das interessierte keinen aus der Geschäftsleitung! Ihre Devise lautete: „Entweder, du kannst mithalten und aushalten, oder du bist falsch auf deinem Posten. Für dich einen Nachfolger zu finden, ist für uns ein Leichtes." Und ja, das war ein Leichtes!

Ständig ging es darum, die Auftragslage zu erhöhen, die Löhne zeitlich begrenzt zu kürzen oder von den Mitarbeitern viele Überstunden einzufordern, Urlaubsansprüche hinauszuschieben und anderes mehr. Das Konfliktpotential war also groß. Die Geschäftsleitung erwartete, dass wir Manager diese Situationen meisterten und es zu keinen Streiks kam. Leichter gesagt, als getan, denn ich verstand unsere Mitarbeiter sehr gut. Nur durfte ich das nicht zeigen oder sagen. D.h., ich musste permanent gegen meine eigene innere Stimme handeln. Ich lebte also in einer Welt, die mich emotional und in meinem Sein - durchaus auch körperlich - fertig machte. Ich fühlte mich wie jemand, der wissendlich und „sehenden Auges“ die Mitarbeiter/innen belog und in ihren finanziellen „Notstand“ führte. Denn natürlich wusste ich schon lange im Vorhinein, dass es z.B. zu Kündigungen oder zur Kurzarbeit kommen wird. Mir wurde zunehmend mehr bewusst, dass ich ein Mensch war, der „für den kleinen Mann“ stand. Und genau aus diesem Grund fiel es mir von Jahr zu Jahr schwerer, meine Aufgaben wahrzunehmen.  

24 Stunden erreichbar zu sein, war für mich völlig normal – auch im Urlaub. Meine Frau flog mit unseren zwei Kindern bereits schon seit Jahren alleine in den Urlaub, während ich allenfalls mal übers Wochenende oder für ein paar Tage bei ihnen war. Ich hatte zwar eine Ehefrau und Kinder, aber streng genommen war ich mit meiner Arbeit verheiratet. Ich konnte viele Jahre von Glück reden, dass meine Frau das alles mitmachte und mir sozusagen den Rücken freihielt. Aber gerne tat sie das nicht. Entweder war ich tagelang nicht zu Hause, oder ich war zwar zu Hause, hatte aber keinen „Kopf“ für die Belange meiner Familie. Wie unsere Kinder sich entwickelten, bekam ich nur am Rande mit und wunderte mich jedes Mal, wie „groß“ sie geworden waren. Ab und zu war es mir mal möglich, mit der Familie in den Zoo zu gehen, die Sternwarte zu besuchen, ins Freibad zu gehen. Aber all das befriedigte meine  Ehefrau und Kinder nicht. Ich war einfach viel zu selten für sie da und meine Frau musste alles alleine regeln; die Finanzen, den Haushalt, die Kindererziehung, Schule und dergleichen mehr.

Zu alle dem waren meine inzwischen gesundheitlich bedenklichen Zustände nicht mehr zu übersehen. Ich litt unter erheblichen Schlafstörungen, hatte Herzrasen, Sodbrennen, Verdauungsstörungen, war übernervös und konnte nicht mehr wirklich abschalten. Ich fühlte mich wie in einem Hamsterrad, das nicht mehr aufhören wollte sich zu drehen. Doch was sollte ich tun? Ich hatte keine Zeit, mich zu pflegen.

Mit dem Druck meiner Frau ging ich zum Arzt und tat, was ich noch nie zuvor getan hatte. Ich ließ mich krankschreiben. Das war der Geschäftsleitung so gar nicht recht, stand doch ein wichtiger Vertragsabschluss an, den ich betreute. Ich konnte aber wahrlich nicht mehr. So bat ich dann einen Kollegen, sich um die Sache mit zu kümmern. Nicht zuletzt hatte ich ihm selber schon so manches Mal „aus der Patsche“ geholfen, ohne dass die Geschäftsleitung davon erfahren hatte. Doch was geschah? Dieser Kollege nutzte meine Situation aus, machte den Vertragsabschluss und sorgte dafür, dass die Geschäftsleitung diesen ihm lobend gut schrieb.  Er war dann auch derjenige, der kurz darauf einen übergroßen Bonus für den Deal erhielt, während ich leer ausging. Es kam zu einer lautstarken Auseinandersetzung zwischen uns beiden, in der ich im klar machte, wie oft ich seinen „Arsch“ schon gerettet hatte. Und nun ging er so egoistisch und karrierestrebend mit mir um? Er lächelte nur müde. Ich sollte froh sein, noch meinen Job behalten zu haben. Eigentlich hätte ich bei diesem wichtigen Auftrag durch meine Krankschreibung mit der Kündigung rechnen müssen. Die Geschäftsleitung fühlte sich von mir im Stich gelassen, und hätte mit deinem Ego nicht gerechnet. Wieso überhaupt krank?

Mein Gespräch mit der Firmenleitung führte zu nichts. Es ging nämlich darum, dass der persönliche Erfolg sich stets nur auf das jeweilige Geschäft bezog. Niemals aber sammelte man sich damit Lorbeeren an. Und dieser Vertragsabschluss war einfach so wichtig, dass man dafür den vollen Einsatz verlangte, den ich durch meine Krankschreibung nicht geleistet hatte. Gab es überhaupt irgendeinen Geschäftsabschluss, der weniger wichtig war, als der, den ich nicht bis zum Schluss betreuen konnte? Nein! Dieses Argument der Geschäftsleitung war also hinfällig, kümmerte aber keinen. Ich kündigte und machte mich selbständig. Mein Knowhow war groß genug, um mich auf meine eigenen Beine zu stellen. Das war allerdings leichter gesagt, als getan. Mein Ehe- und Familienleben litt jetzt nämlich noch mehr als zuvor. So kam, was kommen musste: Eines Tages  „setzte mir meine Frau die Pistole auf die Brust“ und forderte: „Entweder die Arbeit oder unsere beiden Kinder und ich.“ Ich stand vor der Wand. Was sollte ich nun machen? Jahrelang war ich überaus erfolgreich, meine Familie hatte großen Nutzen von meiner Arbeit sowie dem, was ich durch diese verdiente, und nun setzte auch sie mich „Schach matt“? Das konnte doch wohl nicht wahr sein?! Wie sollte ich nun beides retten, also meine Arbeit und meine Familie?“